Veröffentlichung im Westfalen-Blatt – „Die große Insolvenzwelle kommt“
Wiesbaden/Gütersloh (WB). Die Wirtschaft legt in der aktuellen Corona-Krise eine Vollbremsung hin. Und trotzdem liegt die Zahl der Firmenpleiten im April 2020 nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamts sogar um 13,4 Prozent unter dem Vergleichswert des Vorjahres. Schon im März war sie auch nur um 1,6 Prozent gestiegen.
Für Entwarnung gibt es dennoch keinen Grund . Biner Bähr, Rechtsanwalt in Mönchengladbach und einer der führenden Inssolvenzexperten, sagte in einem Interview der „Rheinischen Post“, er rechne 2021 mit einer enormen Steigerung auf 30.000 Unternehmensinsolvenzen – nach knapp 19.000 im vergangenen Jahr.
Pflicht zur Insolvenanmeldung vorübergehend ausgesetzt
Auch der ebenfalls auf Insolvenzrecht spezialisierte Gütersloher Rechtsanwalt Moritz Sponagel sieht die Entwicklung am Anfang, nicht am Ende: „Die große Insolvenzwelle rollt erst auf uns zu.“ Schließlich habe der Gesetzgeber die Pflicht zur Insolvenzanmeldung für Unternehmen, die wegen der Corona-Krise zahlungsunfähig werden, in Deutschland rückwirkend zum 1. März bis vorerst Ende September 2020 ausgesetzt. Und natürlich seien die im Eilverfahren beschlossenen Finanzhilfen für Unternehmer zunächst eine echte Überlebenshilfe.
Hinzu komme, dass die zuständigen Gerichte derzeit nur in Notbesetzung arbeiteten, sagt Sponagel. Dafür, dass es trotzdem zu spektakulären Insolvenzanträgen oder Anträgen auf Gläubigerschutz gekommen sei, sei Corona allenfalls der Auslöser. „Das sind zumindest teilweise Zombies, die eigentlich schon längere Zeit nicht mehr wettbewerbsfähig sind.“
Rückgang auch bei den Privatinsolvenzen
Einen Rückgang gibt es Sponagel zufolge auch bei den Privatinsolvenzen: „Das ist kein Wunder, sind doch infolge der Corona-Krise die meisten Schuldnerberatungen vorübergehend geschlossen worden.“
Von Karstadt Kaufhof bis Poggenpohl
Trotz des allgemeinen Rückgangs haben in jüngster Zeit auch bedeutende Unternehmen Antrag auf Insolvenz oder Gläubigerschutz gestellt. Dazu zählen überregional der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof, die Modehauskette Sinn sowie die Restaurantketten Maredo und Vapiano. In Ostwestfalen-Lippe traf es beispielsweise den Herforder Küchenhersteller Poggenpohl. Sponagel geht davon aus, dass in nächster Zeit vor allem Unternehmen aus der Gastronomie, Hotellerie und allgemein dem Tourismus besonders gefährdet sind.
Von Bernhard Hertlein © Westfalen-Blatt